95 Prozent der Mordfälle werden in Deutschland aufgeklärt. In wenigen Fällen stoßen Ermittler an ihre Grenzen, Täter können nicht gefasst werden. Akten werden geschlossen. Fälle werden zu so genannten Cold Cases. Eigentlich ein irreführender Begriff. Denn auch Jahre nach einem Verbrechen lassen diese Fälle niemanden kalt.
Die NORDSEE-ZEITUNG widmet sich in einer neuen Serie „Tatort Nord“ diesen Fällen, bei denen nicht nur Ermittler, sondern auch die Angehörigen der Opfer immer noch - oft noch nach Jahrzehnten - auf die bahnbrechende, heiße Spur hoffen.
Mehr als 3000 ungeklärte Tötungsdelikte
In Deutschland gibt es mehr als 3000 Cold Cases. Die Gesamtzahl könnte noch höher liegen, denn nicht in jedem Bundesland gibt es spezielle Cold-Cases-Einheiten. Laut der Polizeistatistik sind es in Nordrhein-Westfalen allein schon 1.160 Fälle. Es folgt Baden-Württemberg mit 550 und Niedersachsen mit 375 Fällen. In Bremerhaven sind es 14 Cold-Case-Fälle, im Landkreis Cuxhaven 12, bei denen es immer noch Ermittlungsansätze geben könnte. Die Zahl der ungeklärten Tötungsdelikte ist damit natürlich höher.
Die US-Bundespolizei FBI gilt als Wegbereiter dieser Ermittlungsform. 1996 wurde erstmals in den USA eine Cold-Case-Unit aufgebaut. Insbesondere neue DNA-Analysemethoden eröffneten neue Perspektiven. In Deutschland wurden ab 2015 Cold-Case-Einheiten aufgebaut. Das heißt aber nicht, dass nicht auch schon in der Vergangenheit Altfälle wieder aus dem Aktenschrank hervorgeholt wurden.
Mutter wird mit 61 Messerstichen bestialisch getötet
Einer der spektakulärsten Cold Cases im Landkreis Cuxhaven ist der Mord an der damals 32 Jahre alten Anke Wohlers aus Cappel. Auch 25 Jahre nach der Tat ist der Mörder nicht gefunden. In unserer Serie starten wir genau mit diesem Fall.
Am 27. März 1999 findet der damals 5-jährige Felix seine Mutter blutüberströmt in ihrem Bett. Anke Wohlers war mit 61 Messerstichen ermordet worden. In der ersten Folge der Tatort-Nord-Serie erzählt Felix dem NZ-Reporter, wie er seine Mutter gefunden hat, wie er noch mit Taschentüchern versucht, die schlimmsten Verletzungen und Blutungen abzudecken. Auch weitere Familienmitglieder geben tiefe Einblicke in ihr heutiges Seelenleben und warum sie immer noch fassungslos sind, welche Fehler ihrer Meinung nach bei den damaligen Ermittlungen passiert sind. Schnell war sich die Polizei sicher, dass der Ehemann seine eigene Frau getötet hat.
Im Juli 2019 hat die Polizeidirektion Oldenburg beschlossen, in Cold Cases neu zu ermitteln. Auch in Cuxhaven wurde eine Ermittlungsgruppe unter der Leitung von Kriminalhauptkommissar Rainer Brenner gegründet. Drei Fälle gerieten seitdem besonders ins Visier.
Leichen der Prostituierten Wardelmann und Witt an der A27 entdeckt
Die Morde in den Jahren 1992 und 1993 an den Bremerhavener Prostituierten Vanessa Wardelmann und Anja Witt, die unweit der Autobahn 27 gefunden wurden, die in Hechthausen 2009 verschwundene Nancy Köhn und die so genannten Disco-Morde. Zwischen 1977 und 1986 sind sechs Frauen nach Besuchen von Kneipen und Diskotheken verschwunden, darunter auch die 16 Jahre alte Anja Beggers aus Midlum. Eine Leiche wird nur von Irene Warnke aus Ringstedt gefunden. War es ein Serienkiller? Beweise für diese These gibt es nicht. In den vergangenen Monaten haben sich viele Frauen bei der NZ gemeldet, die überzeugt sind, in den vergangenen Jahrzehnten vom mutmaßlichen Serienmörder Kurt-Werner Wichmann verfolgt und bedrängt worden zu sein. Gibt es einen Bezug zu den „Disco-Morden“? Auch hier fehlen bisher die Beweise. Die Polizei hält die Fälle der verschwundenen Mädchen für ausermittelt.
Barnkow und Remmers: Zwei Frauen mit der selben Waffe getötet
In Bremerhaven wird die Krankenschwester Bärbel Barnkow im September 1991 in ihrem Auto erschossen, später mit derselben Waffe eine Frau in Bremen, Ingrid Remmers. Der mutmaßliche Täter widerruft sein Geständnis. Auch diese Taten werden nie aufgeklärt. Die NZ pflegt auch hier den engen Kontakt zu den Opfern, den Kindern von Bärbel Barnkow.
Viele weitere spektakuläre Kapitalverbrechen stehen auf der Liste der Reporterinnen und Reporter. Wir stellen aber auch die Arbeit der Cold-Case-Ermittler vor, fragen einen Kriminalpsychologen, wie man kriminell wird und ob es eine genetische Veranlagung gibt. Ein Rechtsmediziner kommt ebenso zu Wort wie ein Profiler. Ermittler holen sich nicht selten Rat bei einem solchen Fallanalytiker. Oder auch bei Studenten.
Es ist ein deutschlandweit einzigartiges Studienfach: Cold Cases an der Polizeiakademie Niedersachsen. Ein Vorbild auch fürs Ausland. Die Studierenden lernen hier an echten Fällen. Zusammen mit den zuständigen Ermittlungsgruppen gehen sie die alten Akten durch.
Zwei Mal die Woche blicken wir in menschliche Abgründe
Und warum faszinieren uns Morde eigentlich so, ist es die Gier nach Sensationen? Ein Medienpsychologe klärt auf. In mehr als 20 Serienteilen blicken wir mit Ihnen zwei Mal die Woche in die menschlichen Abgründe, auf unfassbare Verbrechen. Aber damit nicht genug. Im Herbst geht die Serie weiter. Dann befasst sich die NORDSEE-ZEITUNG mit aufsehenerregenden Verbrechen, die aufgeklärt wurden - wie die Morde an Levke und Felix oder der Fall des „Oma-Mörders“.